Natürlich ist es möglich. Und es ist auch sinnvoll –
vorausgesetzt, wir spielen das Eine nicht gegen das Andere aus. Wenn wir machen
was wir lieben, dann ist es menschlich, die eigene Liebe „in den Himmel zu
heben“. Doch andere Menschen lieben vielleicht etwas anderes. Zusammen ergibt das
einen bunten Blumenstrauß. Was zählt, sind nicht die einzelnen Farben. Was
zählt, ist die Liebe selbst.
Nun, als Aikido- und Systemalehrer liebe ich beides, Aikido und Systema. Deswegen will ich
versuchen, die Profile dieser Kampfkünste kurz darzustellen und am Ende hervorheben,
wie Aikido und Systema sich fruchtbar ergänzen, wie sie sich gegenseitig in
einen größeren kulturellen Orbit
schießen.
Zum Aikido. Das
Miteinander Bewegen, wie wir es im Aikido so lieben, ist kein Wert an und für
sich – es ist eine Trainingsmethode.
Wir bewegen uns nach den wesentlichen martialischen Regeln miteinander, um die „Aikido
Melodie“ zu spielen zu lernen - das Kämpfen für
eine gemeinsame Linie, für eine
gemeinsame Lösung, für eine
Kooperation mit dem Anderen. Der Mensch ist in seiner egoistischen und
streitsüchtigen Art durchaus etwas, das überwunden werden muss (Nietzsche).
Aikido soll dem Menschen helfen zu realisieren, dass wir alle eine Familie sind (Ueshiba). Aikido
kämpft für eine bessere Welt, indem es der gemeinsamen Lösung des Konflikts
stets eine deutlich höhere Priorität einräumt als dem Wohlgefühl der Einzelnen.
Aikido ist für die Gruppe, für den Schwarm. Im Aikido freuen sich alle, wenn
der Schwarm gut fliegt. Bewusstseinserweiterung
funktioniert über das Wir in der Zukunft. Die gemeinsame Linie, auf der sich
viele wohl fühlen, heißt „Evolution“.
Zum Systema. Das
Gegeneinander Kämpfen, wie es im Systema und noch deutlicher in allen
sportlichen Disziplinen auftaucht, ist auch nur eine Trainingsmethode. Eine andere, keine schlechtere. Im Aikido gehen
wir damit gerne gleich auf die nächsthöhere Ebene, den Kampf gegen sich selbst.
„Du stehst dir selbst im Weg“,
„entspanne dich“ etc. – Doch obwohl wir im Systema gerne gegeneinander
Bewegen und das auch regelmäßig trainieren, kämpfen wir doch auch immer für und nie gegen etwas. Systema kämpft für die Befreiung von Angst und
Selbstmitleid. Systema ist für Gesundheit und für das Wahrnehmen von
Verantwortung. Systema will die übergeordnete Intelligenz des gesamten Systems.
Systema will „den Instinkt reiten“. Die Macht des eigenen Unterbewussten und die Organisation des Tagesbewusstseins.
In der tieferen Ahnung, dass wir zurück müssen in der Zukunft, trainieren wir,
um den Instinkten zu begegnen. Keine Abwendung von den primitiveren Ursprüngen,
sondern die „Begegnung mit dem Drachen“.
Im modernen Aikido
liegt Schlüssel zur Transformation sicher in der Wahrnehmung der Einzelnen als
Gruppe. Schwarmintelligenz steht auf
der nächsten Zündstufe der Rakete, die der Gründer Morihei Ueshiba im vergangenen
Jahrhundert ins All geschossen hat. Wer weiß, vielleicht würde Ueshiba es heute
so formulieren: Erst wenn die Menschheit sich nicht nur als eine Familie,
sondern als ein Organismus, als eine sich selbst bewusste Spezies auf diesem
Planeten wahrnimmt, erst dann wird Aikido seine Mission erfüllen. Eigentlich
geht es im modernen Aikido um Bewusstseinserweiterung auf der Ebene von
körperlichen Übungen mit anderen. Modernes Aikido ist progressiv,
gemeinschaftsorientiert und visionär. Wir gehen im Aikido gemeinsam den Weg
nach vorne.
Modernes Systema
nimmt auf dieser Ebene den Gegenpol ein – es ist anarchisch, naturorientiert
und konservativ. Systema verzichtet auf jegliche Verankerung in bestimmten
Formen, Positionen oder Haltungen. Im Training wird weder im äußeren Raum noch
im inneren Raum er-zählbare Wiederholung geübt, sondern von gleich sofort an
erfahren 1. wie „kalt“ das Wasser ist,
2. dass ich mich in der Strömung dauerhaft nirgendwo festhalten kann und
es 3. so etwas wie eine Lebensversicherung nicht gibt. Wohl aber merke ich
sofort, wie sich mein eiliges
Verständnis von „gutem Leben“, „Frieden“ und „Gesundheit“, kurz von
Qualität im Systema Training dramatisch verlangsamt. Wie mein „Zeitgefährt“
anhält, wie es langsam zurückrollt und sich im Dickicht der Schläge und
dschungelhafter
Bewegungen schließlich zu verlieren scheint. Wenn ich nicht
wirklich alles vergesse, was ich bisher über mich und die Welt zu wissen
glaubte, komme ich hier nicht viel weiter. Im Systema Training gehst du
definitiv den Weg zurück dorthin, wo du dir nichts mehr vormachst. Und du gehst
alleine.
Legt man nun Aikido und Systema (so wie ich es unterrichte)
übereinander, sehen wir schon, die Grenzen sind eher weich. Es ist wie beim Yin
und Yangzeichen, beide Disziplinen integrieren auch die Kernqualitäten der
jeweils anderen Art. Im Aikido gibt es den Atemi/Schlag, es das Konzept des
Hier und Jetzt usw. - Und selbstverständlich gibt es im Systema auch Wiederholungen,
zwar nicht in Form von festen Bewegungsabläufen, aber im regelmäßigen Anwenden von
Bewegungskonzepten wie der aufrechten
Haltung und das der Atem führt.
Wenn wir mit Abstand schauen, etwa wie vom Mond auf die
Erde, dann sehen wir, wie Aikido und Systema eine klassische Polarität und ein kriegerisches
„Magnetfeld“ bilden: Integrität, Haltung, nach außen gerichtete Grundspannung, Bewusstseinserweiterung und die
Verbesserung unserer Beziehungsfähigkeit durch Aikido auf der einen Seite – Integrität,
Haltung, nach innen gerichtete
Grundspannung, tieferes Naturverständnis und die Rückgewinnung unserer
natürlichen Wehrfähigkeit durch Systema auf der anderen Seite.
Aikido und Systema sind so fruchtbar in ihrer Beziehung zu-
und miteinander, dass sich in meinem Kopf ein neues Wort geformt hat: Systaima. Im Erwachsenentraining Aikido
unterrichte ich schon lange auch Systema (Grundlagen); genauso fließt immer
auch meine Aikido Erfahrung ein, wenn ich Systema unterrichte (z.B. Kontaktarbeit).
Systema im Aikido - Aikido im Systema. So fühlt es sich richtig an.
Doch wir sind noch nicht so weit, dass Systaima
eine neue Disziplin werden kann. Zu unterschiedlich sind die Bedürfnisse der Aikido Leute und der
Systema Leute im Dojo und auf meinen Lehrgängen. Die Leute, die sich auch sehr
für den jeweils anderen Pol interessieren, sind in der Minderzahl. Und diese
Leute haben ja – zumindest im Frankfurt Seishinkai – die geniale Möglichkeit,
Natur und Kultur, Systema und Aikido zu gleichen Teilen zu trainieren!
Und wie schön, wenn wir alle zu einem besonderen Training
zusammen kommen können! Zum Beispiel anlässlich des stillen Kerzentrainings am Freitag, den 21.
Dezember.
Wir beginnen um 18.30 Uhr. Jeder taucht in den Klamotten auf, die ihm am angenehmsten sind. 45 Minuten aufregendes Schweigen, vielleicht auch sinnlose Bewegung oder frustrierendes Stocken, Freude an der Direktheit des Kontakts – whatever happens, es ist okay.
Wir beginnen um 18.30 Uhr. Jeder taucht in den Klamotten auf, die ihm am angenehmsten sind. 45 Minuten aufregendes Schweigen, vielleicht auch sinnlose Bewegung oder frustrierendes Stocken, Freude an der Direktheit des Kontakts – whatever happens, es ist okay.
Ein paar Regeln:
1.
Die Angriffe sind so, dass der andere damit auch
irgendwie umgehen kann.
2.
Miteinander bewegen und Gegeneinander Bewegen –
fifty fifty.
3.
Angriff und Verteidigung wechselt, wenn ein
akustisches Signal gegeben wird.
4.
Die angebotene Technik ändert sich bei 2 x
Klatschen.
Willkommen
im Kerzentraining 2018! Willkommen zu unserem kleinen Versuch der
Kommunion /
zum Miteinander sein über die alltäglichen Grenzen hinaus!
zum Miteinander sein über die alltäglichen Grenzen hinaus!